„Wer kann was beweisen?“ OLG Schleswig zur Reichweite der (neuen) Beweislastumkehr des § 476 BGB
Das OLG Schleswig hat mit seinem Urteil vom 05.10.2017 im Sinne der BGH Rechtsprechung zum § 476 BGB entschieden und einen KfZ-Händler zur Rücknahme eines Fahrzeugs verurteilt.
In dem zu Grunde liegenden Fall, erwarb ein Verbraucher bei einem Kia-Vertragshändler ein Neufahrzeug vom Typ Kia Sportage 1.6. Das Fahrzeug wurde am 04.07.2013 übergeben. Vor Übergabe hatte der Kfz-Händler die Frontscheibe an dem Fahrzeug ausgewechselt wegen einer fehlerhaften Frontscheibenheizung, ohne das jedoch dem Käufer mitzuteilen.
In der Folgezeit kam es zu verschiedenen Werkstattaufenthalten des Fahrzeugs wegen Feuchtigkeit im Fahrzeuginnenraum, insbesondere im rechten Fußraum. Dabei ist strittig, ob bei den Werkstattaufenthalten die Frontscheibe des Fahrzeugs ausgewechselt, oder lediglich neu verklebt wurde.
Da der Käufer der Auffassung war, dem Händler sei es trotz mehrfacher Versuche nicht gelungen, die Wassereinbrüche in das Fahrzeug in den Griff zu bekommen, erklärte er den Rücktritt von dem zugrundeliegenden Vertrag. Einige Wochen später ließ der Käufer aufgrund eines Steinschlags die Frontscheibe mit einer anderen KIA-Vertragswerkstatt wechseln. Von da an konnte keine Feuchtigkeit mehr im Fahrzeuginnenraum festgestellt werden.
Da der Händler den Rücktritt zurückwies und eine Einigung nicht erzielt werden konnte, erhob der Käufer zunächst eine Klage vor dem Landgericht. Dieses hat die Klage in der ersten Instanz abgewiesen. Der Käufer habe das Fahrzeug nach dem zweiten Nachbesserungsversuch wieder entgegengenommen, ohne den Nachweis geführt zu haben, dass das Fahrzeug in der Folgezeit aufgrund des behaupteten Mangels wiederum zu Feuchtigkeitserscheinungen im Fahrzeug gekommen sei. Auch die Sachverständige habe nicht feststellen können, dass es zu Wassereinbrüchen gekommen sei.
Das OLG Schleswig entschied als Berufungsgericht zu Gunsten des Käufers. Aus den Urteilsgründen möchten wir auszugsweise wie folgt zitieren:
„Die Feuchtigkeit insbesondere im rechten Fußraum ist eine typische Mangelerscheinung im Sinne der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Der Kläger muss demnach weder darlegen noch beweisen, auf welche Ursache diesen Mangelerscheinung zurückzuführen ist, noch dass sie in den Verantwortungsbereich der Beklagten fällt. Weiterhin wird vermutet, dass die Ursache der Mangelerscheinung zumindest schon im Ansatz bei Gefahr Übergang vorgelegen hat, was hier ohnehin nahe liegt, da bereits vor Gefahrübergang die Windschutzscheibe ausgewechselt worden ist.
Wie im angefochtenen zutreffend ausgeführt, konnte der Sachverständige zwar keine Spuren eines Wassereintritts (mehr) feststellen, ebenso wenig konnte er dies jedoch technisch ausschließen, dass es im Sommer 2014 zu einem (erneuten) Wechsel der Frontscheibe infolge eines Steinschlagschadens gekommen war. Mithin ist das Beweisergebnis offen mit der Folge, dass die beweisbelastete Beklagte beweisfällig geblieben ist.
Zwar wurde nach wirksamer Rücktrittserklärung der Mangel beziehungsweise die Mangelursache (offenbar endgültig) behoben, indem in einer anderen KIA-Werkstatt nach einem Steinschlagschaden die Frontscheibe erneut ausgewechselt wurde. Diese Mangelbeseitigung steht indes dem Festhalten an dem einmal erklärten Rücktritt nicht entgegen.
(OLG Schleswig, Urt. v. 05.10.2017, Az. 7U 88/16)
BVfK Anmerkung:
Dieser Fall zeigt, dass sich die unteren Instanzen nicht alle an der Rechtsprechung des BGH orientieren. Das diese mit der Entscheidung des OLG Schleswig zulasten des Handels erfolgt, wird vom BVfK weiterhin kritisiert. Interessant in diesem Fall ist, dass die erste Instanz zugunsten des Händlers entscheiden hat, was diesem im Ergebnis aber nicht geholfen hat.
Das OLG hat die Frage, ob sich der Käufer treuwidrig verhält, wenn er an seinem Rücktritt festhält, nachdem er durch den durchgeführten Frontscheibenwechsel das Problem mit dem Feuchtigkeitseintritt behoben hat, für uns überraschend zugunsten des Käufers bewertet. Dies hätte man bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen sicherlich auch anders beurteilen können. Des Weiteren drängt sich die Frage auf, ob die „Pflichtverletzung“ für den erklärten Rücktritt nicht nach § 323 Abs. 5 S. 2 BGB unerheblich ist. Aber auch diesen Aspekt hat das OLG zugunsten des Käufers entscheiden und den Rücktritt schlussendlich bejaht.
Moritz Gross
BVfK-Rechtsabteilung
Detaillierte Informationen erhalten betroffene BVfK-Mitglieder direkt bei der rechtsabteilung@bvfk.de
Zur kostenlosen (im Mitgliedsbeitrag enthaltenen) Ersteinschätzung geht´s hier:
>>> Anfrage-Ersteinschätzung
Wichtige Links zu den Informationen und Leistungen der BVfK-Rechtsabteilung:
>>> BVfK-Vertragsformulare
>>> Erfassungsbogen-BVfK-Schiedsstelle
>>> Liste der BVfK-Vertragsanwälte
>>> FAQs-BVfK-Rechtsfragen
>>> BVfK-Verbraucherinformation-zum-Kaufrecht